Heinrich Dubel Schultheiss – Berliner Bier von Weltruf Der Unternehmer Jobst Schultheiss erwarb 1853 eine kleine Berliner Brauerei mit eigener Malzproduktion. Im Jahre 1871 war die »Schultheiss'sche Brauerei« zur Aktiengesellschaft gereift. Akkumulation („fleißiger Erwerb“) weiterer Brauereibetriebe vergrößerte das Unternehmen, bis es im Jahre 1904 der Ausstoß von einer Million Hektoliter Schultheiss-Bier erreichte. Anfang der Zwanziger war die Berliner Schultheiss größte Lagerbierbrauerei der Welt. Mit »Patzenhofer« als Partner ging es weiter voran, bis dann passierte, was auf der Webseite unter der Kapitelüberschrift „Ab und auf“ beschrieben wird: „Die Krisen und Zerstörungen Mitte des letzten Jahrhunderts rüttelten nicht nur am ganzen Land. Die Brauerei machte eine harte Krise durch. Wichtige Absatzmärkte und Braustätten gingen durch Zerstörungen im 2. Weltkrieg verloren. Vom Absatzmarkt, der vorher von Berlin bis zur Ostsee, nach Pommern, Ostpreußen und Schlesien reichte, blieben nur noch knapp 20% erhalten.“ Es wurde zum Glück wieder besser, und „Schultheiss Pilsener blieb weiterhin Verkaufsschlager“. Das ist wörtlich zu nehmen, wie Aufnahmen von Stimmungsliedern „Ich trink mein Helles auf Dein Spezielles“ oder dem Klassiker „Schultheiss-Export“ bezeugen, eingespielt von Bruno Fritz und Chor zur lässigen Marsch- und Walzermusik des SFB-Tanz- und Unterhaltungsorchsters. „Dit Schulle“ gehörte nun mal zu Berlin wie Zille und Bolle, auch wenn es vorerst nur mehr zu West-Berlin gehörte (wie Bierpinsel und Wasserklops). Im Westen allerdings war Schultheiss vielleicht die „klassischste“ der Berliner Traditionsmarken, insofern sie besonders außerhalb Berlins als DAS Berliner Bier bekannt war (neben »Berliner Kindl«, aber weit vor »Engelhardt« („macht Stängel hart“) und »Charlottenburger«-Pilsener. In den Siebzigern vermochte ein Schultheiss dem (West)-Berliner Sicherheit und ein Gefühl des Zu-Hause-Seins vermitteln in einer rasant sich verändernden Republik, von der man doch immer irgendwie abgeschlossen war. Im sich abzeichnenden Imagebewerb der Achtziger wurde das als „kleene braune Ampulle“ geliebt- beziehungsweise geschmähte Bier abgehängt von Marken wie Beck‘s oder Flensburger. Man erkannte dringenden Bedarf zur Aktualisierung des Schultheiss-Images, da die Marke sogar zunehmend zu Hause in Berlin an Marktanteilen verlor. Die Kampagne „Schultheisse Nächte“ zementierte jedoch das Image eines Laubenpieper- oder Eckensteherbieres. Es fehlte an frischen Ideen, man zeigte sich außerstande zu wiederholen, was etwa eine Marke wie »Jägermeister« vorgemacht hatte: Sich von einem als Inbegriff der Biederkeit gehandeltem Produkt in eines zu wandeln, das von einer neuen Massen-Bewegung (Techno) geradezu ekstatisch verzehrt wird. Mit dem Mauerfall eröffnete sich für »Schultheiss« theoretisch die Möglichkeit, den Ostteil der Stadt zurück zu erobern und als neues altes Gesamtberliner-Bier zu strahlen. Im Zuge akkumulierender Dynamik auch in der Brauereiwirtschaft gehörten jedoch bald alle Berliner Marken einer einzigen überregionalen Braugesellschaft, die dann allerdings schnell und erfolgreich auf Aufbruchsstimmung setzend »Berliner Pilsener« zum neuen Repräsentanten der Berliner Biere kürte. Versuche, die Marke Schultheiss veränderten Konsumenten-Gewohnheiten nach zu bessern und das Nach-Vorne-Stellen einer „neuen Sorte“ verwandelten viele Kneipen über Nacht in »Schultheiss-Lager«. Die Rezeption dieses Angebotes ist von Beginn den Zwängen des Mitdenkens deutscher und damit natürlich auch besonders Berliner Geschichte unterworfen und gilt Branchen-Insidern als „Fehlgriff, wie er im Buche steht.“ – in welchem Buche sagen sie allerdings nie. Das Design des aktuellen »Schultheiss«-Pilsener ist der verspätete Versuch einer Annäherung an den Geist einer frühen Klarheit (von der Markenklientel im übrigen niemals reflektiert), unternommen im Stil eines grandiosen Missverständnisses, das von einem goldenen Westen der Sechziger ausgeht und von der Erinnerung daran, wie die Werbung plötzlich nicht mehr schwarzweiß, sondern bunt war. Die Ausstellung »Schultheiss Berlin 2003 – Psychohistorische Exkavationen« wird im Zuge einer vom Erratik Institut Berlin geführten Operation »Simulation des Zwanzigsten Jahrhunderts« von Heinrich Dubel konzipiert und eingerichtet, unter Beteiligung folgender Gruppen oder Personen: – AG Architekturkritik
(Fotoserie »Berliner Gespenster«) Die Ausstellung funktioniert nicht komplettistisch oder repräsentativ. Sie zeigt anhand psychopaläologischer Exkavation eigentlich recht verlorener Dinge, wie Kultur vergessen oder erinnert wird. Liste der Ausstellungsstücke: »Schultheiss«-
und »Scheiss«-Paintings Fineliner-Studien des „Schultheiss-Guy“
mit schwarzem Balken über den Augen (Millionaire) »Schultheiss«-Totenkopf-Collage (Radtke) »Schultheiss«-Schriftzug (Linolschnitt) »Berliner Gespenster«
(Druck) Filmarchäofotografie (Still-Druck,
.jpg) diverse »Schultheiss«-Artefakte |